Den meisten fallen als erstes die »blauen Bände« ein, wenn es um den Karl Dietz Verlag Berlin geht. Ganz zurecht: Die Marx-Engels-Werke (MEW) sind bis heute die wichtigste Studienausgabe der Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels. Der Karl Dietz Verlag Berlin firmiert aber nicht nur deshalb als der »Marx-Verlag«. Das Verlagsprogramm umfasst aktuelle Beiträge zur Kritik der politischen Ökonomie und theoretische Debatten zur Analyse des Kapitalismus. Das Ziel: Mit Marx die gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Widersprüche besser verstehen lernen.
Damit ist aber nur ein Ausschnitt eines viel weiteren Verlagshorizontes beschrieben. Im Karl Dietz Verlag Berlin erscheinen auch die Gesammelten Werke von Rosa Luxemburg; in neuen Editionen sollen nicht nur ihre polnischen Schriften herausgegeben werden, auch das damalige politische Umfeld hat einen festen Platz in unserer Verlagsarbeit. Zum Beispiel in der »Roten Reihe« zur Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus.
Ein schwieriges Erbe
Wenn wir dabei die kritische Herangehensweise an die Geschichte der Arbeiterbewegung betonen, dann hat das auch mit der Vergangenheit des Verlags zu tun. Gegründet nach dem Zweiten Weltkrieg noch teilweise in der Tradition des sozialdemokratischen Vorgängers, wurde der Dietz Verlag bald nach seiner Taufe 1946 zum zentralen Verlag der SED-Führung. Hier erschienen nicht nur die als wichtig erachteten ideologischen Werke, sondern auch das SED-Theorieorgan »Einheit«. Bis etwa 1948 wurden noch Bücher aus sozialdemokratischem Geiste veröffentlicht, später dominierte das Verlagsprogramm die Anschauung der jeweils »herrschenden Linie« der SED, nicht zuletzt in den zahlreichen Büchern zur Geschichte der Arbeiterbewegung, in der Herausgabe der Werke von Lenin, Stalin bzw. der jeweiligen Granden der Staatsparteien auch aus den »sozialistischen Bruderländern«. Neben Parteiveröffentlichungen wurden auch Sachbücher und Belletristik verlegt. Anfang der 1960er-Jahre musste das Belletristikprogramm jedoch im Zuge der Neuordnung des Verlagswesens in der DDR abgegeben werden. Ein verlegerischer Eigensinn hatte aber kaum gegen die Vorschriften »von oben« eine Chance. Mit Parteitagsmaterialien und Schulungsheften machte der Verlag nicht zuletzt »auf Masse«. Bis 1964 hatte Karl Dietz schon über 4.000 Titel in seinem Programm. Zehn Jahre später waren bereits über 3.500 weitere dazugekommen. In den 1980er-Jahren erschienen jährlich etwa 300 Titel, rund 200 Beschäftigte waren im Verlag tätig.
Aus der Geschichte lernen
Der demokratische Aufbruch Ende der 1980er-Jahre in der DDR bedeutete auch für den Verlag einen, wenn auch sehr späten politischen Frühling – ein zweites Leben begann. Zunächst als Folge des Kollaps der Staatspartei, später auch aus eigenem Antrieb. In der Wendezeit wurden bisher verbotene oder unterdrückte Dokumente, Ausgaben, Schriften einem lesehungrigen Publikum geboten. Dietz Berlin wurde zur wichtigen Adresse der publizistischen Aufarbeitung des Stalinismus und des autoritären Staatssozialismus. Ins Programm rückten kontroverse Debatten über die Möglichkeiten eines demokratischen Sozialismus. Das zweite Leben des Karl Dietz Verlages war von Anfang an prekär: nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch. Die Treuhandanstalt versuchte, den als Parteibetrieb geltenden Verlag zu liquidieren. Ein langwieriger Rechtsstreit und wirtschaftliche Probleme lasteten auf dem Neuanfang. 1997 entschied die Internationalen Marx-Engels-Stiftung (IMES), die seit 1975 im Dietz Verlag erscheinende Marx-Engels-Gesamtausgabe MEGA² künftig im Akademie-Verlag herauszugeben. Die MEGA² war bis dahin publizistisch eine der zentralen Säulen des Verlags – nicht zuletzt eine mit wirtschaftlichem Exporterfolg, der nun fehlte.
Das dritte Leben als Dietz Berlin
Der Verlust der Herausgabe markierte auch den Übergang zum dritten Leben des Karl Dietz Verlag Berlin. 1997 können Überlegungen in der damals als Gesellschafter fungierenden PDS über eine Schließung des Verlags durch solidarische Intervention von Wissenschaftlern und Autoren abgewendet werden. Nach einem langen juristischen Streit über den Namen mit dem SPD-Verlag J. H. W. Dietz Nachf. Bonn trägt der Verlag seit Anfang 1999 den Namen Karl Dietz. 2007 schließlich verkauft die PDS den Verlag an die Michael-Schumann-Stiftung, die wiederum von der Rosa-Luxemburg-Stiftung verwaltet wird, später geht die Michael-Schumann-Stiftung auf in der Clara-Zetkin-Stiftung.
Ein Verlag, drei Leben, viele Geschichten. »Ein Verlag wie Dietz«, so hat es zum 60. Geburtstag im Jahr 2006 der damalige Geschäftsführer Jörn Schütrumpf mit Blick auf die eigene Vergangenheit formuliert, habe »keine Existenzberechtigung, wenn er sich nicht auch selbstkritisch daran beteiligt«, den »alten Menschheitstraum von Gerechtigkeit und Freiheit« ins Zentrum zu stellen. Unter anderem mit dem Handbuch »Deutsche Kommunisten« hat der Verlag versucht, Opfern des Stalinismus ihre Ehre zurückzugeben. Ein wichtiger Teil des Nachwendeprogramms drehte sich darum, das vergessen gemachte Werk der emanzipatorischen Linken zu heben und zu vervollständigen.
Im Jahr 2017 haben Sabine Nuss und Gerd-Rüdiger Stephan die Geschäftsführung des Verlags übernommen, Martin Beck wurde neuer Verlagsleiter, seit 2019 ist Ingo Stützle für die Edition der Marx-Engels-Werke verantwortlich. Unter dieser neuen Ägide erfährt der Verlag einen umfassenden Relaunch. Das Corporate Design ist rund um erneuert, das Verlagsprogramm um zwei neue Reihen, Analyse und Theorie, reicher. Einzelne Titel, die die theoretischen Auseinandersetzungen von Marx, Engels und Luxemburg auf der Höhe des aktuellen Forschungsstands für ein besseres Verständnis des Gegenwartskapitalismus produktiv machen möchten, ergänzen das neue Programm.
Martin Beck, Verlagsleiter